Sonntag, 4. Mai 2008

Der Tag an dem die Welt aus ihren Fugen geriet (4)

Neben ihnen konnte er schwach eine Glastür erkennen. Er hängte die Sachen über den einen und nahm die Kleine auf den anderen Arm und schritt auf die Tür zu. Speisesaal stand in goldenen Lettern darauf geschrieben. Vielleicht fand er von dort aus ja die Küche.
Auch hier betätigte er einen Lichtschalter, doch die Glühbirnen der Lampen waren allesamt zerplatzt. In diesem Gebäude hatte das Feuer nicht gewütet, doch ihm war immer noch mulmig zu mute. Am Ende des Speiseraumes war eine Schwungtür. „Bingo“, sagte er und betrat durch sie hindurch die riesige Küche des Hotels. Hier tat das Licht wieder und auch der Kühlschrank war prall gefüllt. Ein großer Stein fiel von seinem Herzen, bis sie gerettet werden würden, verhungerten sie wenigstens nicht. In der Mitte der Küche stand eine große Arbeitsfläche mit Stühlen. Sie war umrundet von Küchentheken und tausenden von Herdplatten. Der Kühlschrank ragte bis zur Decke. Er setzte Maja auf einen der Stühle mit Armlehnen und schob diesen nah an die verchromte Arbeitsfläche heran.
Er wollte den Wasserhahn prüfen und drehte ihn auf. Natürlich floss kein Wasser, er hatte es ohnehin erwartet, man konnte ja nicht alles haben. Maja hatte ihren Teddy im Arm und patschte mit der einen Hand auf der glatten Fläche herum. Es war ihm unheimlich hier in diesem verlassenen Hotel zu stehen, während draußen hunderte Leichen zwischen ausgebrannten Häusern und Autos herumlagen. Sein Magen knurrte mal wieder und er entschloss sich erst einmal etwas zu essen. Im Vorratsraum, der links von ihnen lag, waren mindestens zwanzig Kisten Wasser gestapelt. Er würde sich und Maja später damit waschen, aber jetzt nahm er erstmal eine Flasche und schenkte sich etwas in ein Glas. Maja panschte zufrieden in einem Erdbeerjoghurt herum, den er ihr zum Essen gegeben hatte. Den Löffel dazu hatte sie schon längst über den Tisch katapultiert. Der Junge, er war wohl ungefähr 16 oder 17 Jahre alt, war mittelgroß und hatte dunkelbraune Haare. Das Licht der Glühbirnen in der Küche funkelte in seinen Haselnussbraunen Augen. Er hatte sich selbst ein Sandwich gemacht, nagte aber nur nachdenklich daran rum. Seine Stirn hatte er in Sorgenfalten gelegt. Maja hatte sich schon das komplette Gesicht mit dem rosa Brei voll geschmiert und grinste ihn schelmisch an.
Nachdem beide mehr oder weniger gegessen hatten, machte er sie sauber und zog ihr die Klamotten an, die ihr ein bisschen zu groß waren, sodass sie sogar noch süßer aussah. Er selbst machte sich in der Vorratskammer fertig, auch wenn er nicht wusste warum er sich vor einem zweijährigen Mädchen schämte. Er konnte das Blut zwar nicht ganz loswerden, aber er fühlte sich schon besser.
Als er wieder zu Maja trat, merkte er, dass sie Augen kaum noch offen halten konnte. Auch er war sehr Müde, also beschloss er, im Speiseraum zu schlafen. Dort schob er einen Sessel an ein Sofa, so dass der Sessel eine Art Kinderbett bildete und holte sich aus einem Wäschewagen zwei Decken. Er wickelte Maja in die eine Decke und schaute entzückt zu, wie sie gähnte. Einige Zeit behielt er sie in seinen Armen, bis sie eingeschlafen war und legte sie anschließend auf dem Sessel nieder. Er selbst legte sich aufs Sofa und bedeckte sich mit der anderen Decke. Aber schlafen konnte er vorerst nicht. Er grübelte die ganze Zeit. Was war bloß passiert? Die ganzen Toten, das konnte einfach nicht sein. Die Unwissenheit quälte ihn. Er wusste nicht einmal, wer er war oder ob er vielleicht eine Familie hatte. Aber das würde er schon noch herausfinden, hoffte er zumindest.
Seine Augenlider wurden immer schwerer und irgendwann übermannte ihn der Schlaf.
Ein schwerer Fehler, wie sich bald herausstellen sollte.

Montag, 14. Januar 2008

Der Tag an dem die Welt aus ihren Fugen geriet (3)

Einige Zeit später, er wusste nicht wie viel, drohten seine Beine schlapp zu machen. Sein Magen knurrte und ihm war elend zu mute. Doch etwas schien sich verändert zu haben. Der Rauch war dünner geworden und hier lagen auch nicht ganz so viele Tote. Es war ihm ohnehin schon aufgefallen, dass umso weiter er in diese Richtung ging, immer weniger Leichname zu erkennen waren. Vielleicht waren hier ja noch Menschen! „Hallo! Ist hier jemand?!“, rief er verzweifelt. Maja, die eingenickt war, schreckte beim Klang seiner Stimme hoch und beschwerte sich mit einem kurzen Laut. „HALLO?!“ Er seufzte. Keine Antwort. Niedergeschlagen und völlig ausgelaugt beschloss er, morgen weiter zu gehen. Vielleicht wurden sie ja gefunden. Zumindest hoffte er, dass man nicht dachte, alle seien hier gestorben.
Nur Dumme hoffen, meldete sich diese unerträgliche Stimme in seinem Kopf wieder zu Wort.
Er zuckte mit den Achseln. Außerdem wurde es langsam dunkel und er sah bald seine Hand nicht mehr vor Augen. „Wir machen jetzt eine Pause, ja?“, sagte er zu der Kleinen.
„Pause“, wiederholte sie schläfrig. Der Junge musste wieder lächeln. Es tat ihm gut.
Also suchte er ihnen einen geeigneten Rastplatz.
Seine Wahl fiel auf ein altes Hotel, das außer einigen zerbrochenen Fenstern nicht stark beschädigt zu sein schien. Von außen war die Fassade an einigen Stellen verkohlt, doch innen brannte kein Feuer. Das meterhohe Gebäude schien auch sonst sehr haltbar zu sein. Sein Magen knurrte wieder und auch die Kleine jammerte, sie habe Hunger. So betrat er das Gebäude, auch wenn ihm ziemlich mulmig dabei war. Es war recht dunkel, aber man konnte noch genügend sehen. Der Junge suchte einen Lichtschalter. Er fand einen, doch ihn zu Betätigen nützte nichts, es gab anscheinend keinen Strom. Das hätte er sich auch wohl denken können. In dem dämmrigen Licht, das im Hotel vorherrschte, konnte er nicht viel erkennen, doch es schien recht luxuriös gewesen zu sein. Der Eingang führte direkt in eine weite Aula. In der Mitte konnte er eine verlassene Rezeption erkennen. Um diese herum standen mehrere Sessel und Sofas, wahrscheinlich für wartende Gäste. Welche Farbe sie hatten, konnte er nicht erkennen. In der Mitte der gefliesten Halle hatte ein herabgestürzter elektrischer Kronleuchter ein Loch in den Boden gebrochen. Eine Zuversicht flammte ihn ihm auf. Vielleicht lag es doch nicht am Strom, dass der Schalter nicht funktionierte. Er erinnerte sich, dass die meisten Hotels mit einem Notstromaggregat ausgerüstet sind. Hatte er das gelesen?
Möglich, das war jetzt aber auch nicht wichtig. Zwischen den im Raum verteilten Glassplittern des Kronleuchters und einiger Fenster lagen ein paar Koffer verstreut. Das Gebäude war verlassen, davon ging er fest aus. Als er so die Koffer betrachtete, bemerkte er, wie blutverschmiert und schäbig seine Kleidung aussah. Und auch die Kleine konnte etwas Wärmeres zum Anziehen vertragen. Und, vielleicht gab es hier ja auch Wasser!
Er trat auf die Rezeption zu und bemerkte mehrere Lichtschalter. Er betätigte alle und tatsächlich: Eine Lampe an der Decke schickte schwaches, flackerndes Licht in die Halle.
Man sah zwar nicht viel mehr, als vorher, aber es hatte schon ungemein geholfen. Die Kleine schaute ihn mit ihrem grausam zugerichteten Gesicht an, doch er ekelte sich nicht vor ihr. Er trug sie zu den Koffern, setzte sich auf eine nicht von Splittern bedeckte Stelle und nahm sie auf seinen Schoß. Danach zog er einen der Koffer an sich heran. Er musste aus diesen Klamotten raus. Er öffnete einen der Koffer und durchwühlte ihn. Für sich hatte er schnell etwas gefunden. Seine Wahl fiel auf einen schwarzen Pullover (so erschien er zumindest in diesem Licht) und eine ausgebleichte Jeans. Beides schien zwar etwas zu groß, aber es würde ihn schon warm halten, bis sie gerettet wurden. Die kleine schaukelte auf seinem Schoß hin und her und brabbelte unverständliches Zeug. Er hatte sich extra in den Schneidersitz gesetzt, damit sie nicht so leicht herausfallen konnte. Er fand nichts für sie und zog den nächsten Koffer zu sich heran. Er musste einer Frau gehört haben, denn es war nur Frauenkleidung darin. Mit Freude stellte er aber fest, dass die Frau auch eine Reiseapotheke dabei gehabt hatte, welche er an sich nahm. Was er noch fand, verdutzte ihn ein wenig, es war ein Springmesser. Auch dieses nahm er vorsichtshalber an sich. Man konnte ja nie wissen.
Aber auch in diesem Koffer war nichts, was Maja passte. Daher holte er sich den nächsten.
Doch als er auch in diesem und in drei weiteren keine Kinderklamotten Fand, wollte er schon fast aufgeben. „Hat keiner von euch Arschlöchern Kinder?!“ „Arslocha“, plapperte die Kleine ihm nach. Dadurch musste er wieder lachen und auch Maja schaute zufrieden und grinste. Er fuhr ihr durchs Haar und beschaffte sich einen weiteren Koffer. Und endlich wurde er fündig.
Er hielt zwei Kleidchen hoch. „Na, welches möchtest du?“ Sie schaute ihn verwundert an und er entschied sich für eines der beiden, es war blau mit weiße Blümchen, und eine weiße Strumpfhose. Als er schon wieder aufstehen wollte, beschwerte sich das Mädchen lautstark. Ihr Augenmerk war auf einen kleinen Teddy gefallen, der auch in dem Koffer lag, nach welchem sie nun ihre Hand ausstreckte. Der Junge nahm ihn für sie heraus und drückte ihn ihr in die Hand.

Dienstag, 1. Januar 2008

Als die Welt aus ihren Fugen geriet (2)

1
Als er erwachte, zitterte er am ganzen Körper. Er lag in seinem eigenen Blut auf der Straße. Doch das war nicht die Straße, die er heute Morgen zur Schule gegangen war. Sie hatte zu mindest keine Ähnlichkeit mehr damit. Der Junge spürte einen gleißenden Schmerz, als er versuchte, sich aufzurichten. Mit Erschrecken musste er feststellen, dass seine Umgebung einem Schlachtfeld glich. Die Wolkenkratzer, die einst die Stadt gesäumt hatten, waren in sich zusammengefallen, wie Kartenhäuser bei einem Windstoß und überall brannte es. Fenster waren herausgeplatzt und Straßenlaternen einfach umgestürzt. Ein widerlicher Geruch lag in der Luft und Übelkeit stieg in dem Jungen auf, so schlimm, wie er es wohl noch nie erlebt hatte. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Aber das war auch kein Wunder, denn wenn er es recht bedachte, konnte er sich an fast gar nichts erinnern. Er schaffte es mit einiger Mühe, sich aufzurichten. Sein Herz schlug wie wild und er zitterte immer schlimmer. Erst jetzt bemerkte er die ganzen Leichen, die um ihn herum zerstreut lagen. „Ach du Scheiße.“ Sein Atem ging schnell, viel zu schnell. Und immer wieder brachte der kratzige Rauch ihn zum husten. Was war hier los und wo zum Teufel war er überhaupt? Sein Denken war so gut wie ausgeschaltet. Es fühlte sich an, als umwöbe eine Wolke seinen Verstand. Heiße Tränen liefen über seine Wangen und er hatte starke Kopfschmerzen. Doch von alldem merkte der Junge, dem bald auffallen würde, dass er noch nicht einmal seinen eigenen Namen kannte, gar nichts. Sein Herz blieb ihm fast stehen, als ihn auf einmal eine Hand von hinten packte.
Ihn packte die nackte Panik. Er stand auf und taumelte rückwärts in einen Haufen Leichen. Er versank in einem Gemenge aus Blut und Körperteilen. Ihm war zum Schreien zumute, doch er konnte nicht. Der Junge kämpfte sich aus dem Leichenhaufen, der ihn wie Treibsand umschloss. Sein ganzer Körper war jetzt vom Blut der Leichen verschmiert. Sein Herz raste und die Angst benebelte seine Sinne. Ihm war gleichzeitig heiß und kalt. Als er versuchte sich irgendwo festzuhalten, rutschte er ab. Doch irgendwie schaffte er es wieder aufzustehen. Er stand nun in einer Masse aus Blut und Körperteilen. Irgendwo konnte er einen verkohlten Arm erkennen, an dessen Seite Knochensplitter herausragten und die einzelnen Adern wie Kabel das zur Schau gestellte Muskelfleisch durchzogen. Er atmete sehr schnell, so schnell, dass er beinahe keine Luft mehr bekam. Sein Magen war zu einem einzigen Rotieren mutiert. Die Übelkeit machte ihn beinahe besinnungslos. Er schwankte, ihm war schwindelig. Gleich wache ich bestimmt auf und dann ist alles wieder gut. Das ist nur ein schlimmer Traum.
Plötzlich zuckte der Arm. Er schrie, er schrie und rannte. Das hielten seine Nerven nicht aus. Immer wieder rutschte er auf dem vom Blut glitschigen Asphalt aus und fiel zu Boden. Doch er richtete sich wieder auf und rannte weiter. Das Feuer war für ihn in weite Ferne gerückt. Er wusste nicht, wie lange er lief, als er wieder einmal über eine grausam entstellte Leiche stürzte. In seiner Seite hatte er starke Schmerzen und auch seine Knie schmerzten davon, dass er so oft gefallen war. Diesmal blieb er liegen und schluchzte. Tränen mischten sich mit dem Blut auf seinem Gesicht, während der Rauch des sich langsam verziehenden Feuers sanft über ihn hinweg schwelte. Er schrie um Hilfe, schrie so laut er konnte.
Wie als Antwort hörte er nicht weit von sich entfernt jemanden wimmern. Ganz leise, wie ein Kind. Erst jetzt bemerkte er, wie ruhig es um ihn herum war. Diese Stille machte ihn wahnsinnig. „Mama?!“, rief ein kleines Mädchen aus derselben Richtung, aus der auch das Wimmern gekommen war. Der Junge richtete sich langsam wieder auf. Er war sich unsicher. Hatte er das wirklich gehört und wer war das? „Mama?“, hörte er das Kind verzweifelt wimmern. Ein Kind? Was war das hier für ein kranker Traum? Es schien Angst zu haben. Sollte er nicht nachsehen? Im Moment schien es ihm sowieso so, als habe er nichts zu verlieren. Er atmete tief durch. Er zitterte immer noch heftig, doch er musste sich beruhigen. So konnte er sich nicht helfen, wenn er einfach die Nerven verlor. Der schmutzige Rauch brachte ihn wieder zum Husten und er musste sich ein weiteres Mal übergeben. Dann schloss er die Augen. Schweiß rann durch sein Haar und über seine Stirn und absurder Weise war das, was er sich im Moment am meisten wünschte, eine heiße Dusche. Ruckartig stand er auf, wobei ihn wieder Schmerzten plagten. Stell dich nicht so an!, hörte er eine Stimme in seinem Inneren sagen. Wer hatte das noch immer gesagt? Die Stimme kam ihm bekannt vor, doch er konnte sich nicht an die Person dazu erinnern. Wer war das? Aber das tat jetzt auch nichts zur Sache. „MAMA“, hörte er wieder und entschloss sich, den Schreien zu folgen.
So nahm er all seinen Mut zusammen und setzte sich in Bewegung, immer der Stimme nach. Wie viel schlimmer konnte es noch kommen?
Langsam schritt er auf die Kleine zu, der Rauch brannte in seinen Augen und erschwerte seine Sicht. Er legte sich wie ein bleiender Schleier über seine Lungen. Er hustete ein paar Mal und wischte sich mit zitternder Hand Blut und Schweiß von der Stirn. „Mama?!“, schrie das kleine Mädchen erneut. Es fühlte sich an, als hätte er Blei in seinen Beinen. Neben vor ihm konnte er ein noch halb stehendes Gebäude sehen. Das große Schild, das es einst gesäumt hatte, war heruntergefallen und lag jetzt auf einem der vielen Körper.
Er wollte der Kleinen antworten, aber die Worte steckten in seiner Kehle, als wären sie zu groß, um herauszukommen. Der würzige Geruch einer brennenden Welt lag schwer in seiner Nase.
Auf einmal war da nichts mehr. Verdutzt schaute er sich um. Er war schon weit gekommen, auch wenn er nicht wusste woher er das wusste. Genauso wie er nicht wusste, wo er überhaupt war. Er konnte sich so gut wie an gar nichts erinnern, das machte ihn verrückt. Ohne es recht zu bemerken, war der Junge stehen geblieben. Er horchte dem Rauschen des Windes und versuchte die Hölle nicht zu beachten, die sich vor ihm erstreckte. Um ihn herum waren nur ausgebrannte Autos und Körper, die wie achtlos herumgeworfene Puppen auf dem Weg vor und hinter ihm verstreut lagen.
Nun sah er die aufgeplatzten Asphaltreste Der Straße vor sich liegen, die er vorerst gar nicht realisiert hatte. Wie hatte er es geschafft auf einem solchen Boden zu rennen? Er nahm einen tiefen Luftzug und musste sich beinahe wieder übergeben, als der kratzige Rauch seine Luftröhre durchzog und seinen Weg in seine Lungen fortsetzte. Die Luft war voll von Kohlenstoff und Schwefel.
Das Kind schien verstummt zu sein. Einen kurzen Augenblick wollte den Jungen die Feigheit packen und er erwog einfach umzukehren und das Kind seinem Schicksal zu überlassen, doch irgendwas in ihm drängte ihn, nicht aufzugeben. Was war wenn es Schmerzen hatte? Es hatte doch bestimmt Angst, genauso wie er. Und auch er wollte nicht unbedingt allein sein.
Umso weiter er nun seinen Weg fortsetzte, destso kühler sah er die Verwüstung und die Toten um sich herum. Es schien ihm, als wäre die Zeit stehen geblieben und die Nüchternheit, mit der er diese Schreckliche Verwüstung betrachtete, verwunderte ihn.
Eine Art schwarzer Dampf stieg aus den Spalten zwischen den einzelnen Straßenbruchstücken auf. Der Wind flachte ab und auch das Feuer schien sich langsam zurückzuziehen. Es schien ihm wie im Krieg, auch wenn er nicht wusste, ob er je einen erlebt hatte oder Krieg nur aus dem Fernsehen kannte. „Hallo?!“, rief er, „ist da jemand?“ Nichts. Was war wenn das Kind schon längst tot war? Er zwang sich, sich ein bisschen schneller zu bewegen, doch am liebsten wäre er stehen geblieben, um sich auszuruhen. Denn sein Atem ging immer schwerer und es stach in seiner Seite und in seiner Schulter. Sein Herz pochte immer noch sehr schnell. Oftmals stolperte er über Straßenbruchstücke, doch er schaffte es jetzt irgendwie, das Gleichgewicht wenigstens so weit zu halten, dass er nicht hinfiel. Er lief schwankend, doch er wusste, er konnte noch weiter. Doch weiterhin traten Tränen aus seinen Augen. Verdammt, stell dich nicht so an du Weichei! Wieder diese Stimme. Er wusste nicht von wem sie war, aber er wusste, dass er diese Person nicht mochte, er schien sie zu hassen. Aber sie hatte Recht.
Nun konnte er schemenhaft eine sitzende Gestalt durch den Rauch erkennen. Noch ein paar Schritte, dann hatte er sie erreicht. Vor ihm saß ein kleines Mädchen mit blonden Haaren in einem weißen Kleidchen. Es war irgendwie süß, doch gleichzeitig glich es einer Horrorgestalt. Ihr linkes Auge war zu geschwollen und voller Eiter. Das blonde Haar und das Kleidchen waren Blutbefleckt und die Arme und Beine waren ganz zerkratzt. Auch das Gesicht war von tiefen Schnitten durchzogen. Sie weinte so herzzerreißend, dass es ihm wehtat. „Wo Mama?“, fragte sie und schluchzte dabei. Dann streckte sie ihm ihre Arme entgegen, so als wolle sie, dass er sie auf die Arme nehme. Neben ihr lag eine junge Frau. Sie trug ein Hochzeitskleid und um sie herum lagen Blumen verstreut. Ob das die Mutter der Kleinen war? Er setzte sich neben das Mädchen und schaute sie an. Ich würde mich ja gern vorstellen aber ich weiß selbst nicht, wer ich bin, dacht er bei sich. „Hallo Kleine, wie heißt du denn?“ Sie schaute ihn mit ihrem rechten Auge verdutzt an. Das andere konnte sie nicht öffnen. Das Auge hatte eine wunderschöne, tief blaue Farbe und ihr Gesicht war so unschuldig und traurig, dass es den Jungen schier zerriss. „Maja“, sagte sie in ihrem kindlichen Ton. Sie hielt immer noch seine Arme in seine Richtung gestreckt. Er nahm sie mit seinen Armen hoch und setzte sie auf seinen Schoß. Die Kleine kuschelte sich an seine Brust. Ein leichter Schauer durchlief ihn. Die kleine war eiskalt, beinahe wie eine Tote. „Keine Angst. Ich nehme dich mit, Kleine“, sagte er zu ihr und nahm das Kind in seine Arme. Ihm selbst war auch kalt, aber er versuchte sie zu wärmen, wenigstens ein bisschen. Maja schluchzte und atmete unregelmäßig.
„Mama tot“, sagte sie. „Schhh“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Was jetzt? Wo sollten die beiden bloß hin? Er hatte nicht einmal eine Sekunde darüber nachgedacht, sie dort zu lassen. Das konnte er nicht mit sich vereinbaren. Ich sag doch: Weichei!, verlautete jene verhasste Stimme. Er setzte das Mädchen auf den Boden, und erhob sich. Dann bückte er sich und hob die Kleine auf seine Arme. Sein Rücken quälte ihn fürchterlich, er fühlte sich wie ein alter Mann. Maja war leiser geworden. „Lieber Mann“, sagte sie mit ihrer süßen kleinen Stimme.Es rührte ihn sichtlich. Er hatte das Mädchen sofort gemocht.
Sie legte ihre Arme etwas unbeholfen um seinen Hals und schmiegte sich mit ihrem wuseligen Lockenschopf daran. Liebe auf den ersten Blick, dachte er und lächelte. Dann setzte er seinen Marsch fort, auch wenn er nicht wusste, wohin er gehen sollte. Sie war recht schwer und nach kurzer Zeit schmerzten seine Arme, aber an eine Pause dachte er nicht einmal. Er wollte raus aus dieser Stadt, wollte dieses Gefühl der Hilflosigkeit los sein. Nur wohin? Bis wie weit ging diese Zerstörung, wie viele Städte waren betroffen?


Fortsetzung folgt...

Der Tag an dem die Welt aus ihren Fugen geriet (1)

Dies ist der Tag, an dem meine Welt untergeht. Es ist kein stiller, heimlicher Abgang, wie die Wissenschaftler prophezeit hatten, als sie die Theorien über die globale Erwärmung herausgaben, nein, es ist vielmehr ein pompöser Abschied, von allen unseren Standards und Normen.
Ich höre das grässliche Geschrei, denn die Erde tut sich auf, den Virus Mensch mit Feuer zu überschütten. Ich höre die Prediger vom jüngsten Gericht schreien und höre die schreienden Kinder, die in der Panik der Eltern einfach zurückgelassen werden, an Ort und Stelle zu sterben.
Die Furcht vor dem Tode jagt die Menschen über die bebende Erde. Häuser zerfallen zu Schutt und Asche. Ich sehe Autos in den Abgrund von Feuer stürzen, der sich immer weiter auftut, sehe wie die Menschen im Lauf verbrennen und ich weiß, dies ist der Tag, an dem auch ich sterbe.
All diese schreienden Kinder, die dort einfach dem Tode überlassen werden. Als wenn alle Mutterliebe mit dem Hab und Gut verbrannte.
Ich schaue noch ein Mal durch mein kleines Fenster und merke erbittert, dass auch mir nun nicht mehr viel Zeit bleibt, mein Werk zu vollenden. Ich sehe die Wolkenkratzer stürzen und sehe die hysterische Menge von Menschen, die von den Trümmern erschlagen ihr Leben verlieren. Und mitten drin ein zweijähriges Kind, das, unbeachtet aller anderer, apathisch auf dem Boden sitzt. Gott sei mit den Unschuldigen. Wir Sünder haben die Hölle heraufbeschworen und sündigen selbst noch im Moment des Weltuntergangs.
Nun hat auch mein Haus, in dessen höchstem Stock ich sitze, unlöschbar Feuer gefangen und wieder sehe ich meine Zeit auf ein erschreckendes Limit gekürzt. Die Zeit, die mir bleibt, reicht nicht im Geringsten, um das Grauen zu beschreiben, das sich direkt vor meinen Augen abspielt. Gerade wurde einem Mann von einem Autodach der Kopf abgetrennt, Leichen auf dem Boden verbrennen ins unkenntliche. Bäche aus Blut fließen nun mit der Richtung des Sturms, der sich nun bildet, das Feuer, das den Boden bedeckt, anzufachen.
Ich spüre schon die Wärme in meinem Nacken, weiß, der Tod ist nicht mehr weit und ermahne mich selbst, mich zu beeilen.
Mit Erstaunen kann ich jetzt das Kind erkennen, das als einziger überlebender zwischen hunderten von Leichen liegt und schwer verletzt einfach nur dahin starrt, wohin auch mein Weg mich bald führen wird, ins leere. Der aufsteigende, kratzige Rauch legt sich nun schon schwer über meine Lunge und ich kann ein Husten nicht mehr unterdrücken. Warum ich nicht fliehe? Es hätte keinen Sinn. Der Tod hat sich über dieses Land gelegt und ginge ich auf die Straße, so wäre mein Leben ebenfalls keinen Cent mehr wert. Aber ich bin mir sicher, wenige werden dieses Desaster überleben und für diese soll meine Schrift eine Warnung sein.
Dies ist wahrlich die Strafe, für die Nachlässigkeit der Menschen, mit der wir der Erde begegnet sind.
Es ist wie ein Krieg, nur der schlimmste von allen. Man mag es vielleicht den dritten Weltkrieg nennen, wobei dieser Begriff wahrlich zum ersten Mal passen würde.
Der schwere Rauch, der unter meiner Tür zu mir herüberzieht, raubt mir die Luft zum Atmen. Mein Kopf ist sehr schwer, genau wie meine Gliedmaßen. Der Rauch lässt meine Augen brennen und das Schreiben wird schon zur Qual. Das Feuer kommt immer schneller angeschlichen, ich kann schon sein Knistern hören. Nun, da das Ende naht wage ich noch einen letzten Blick aus dem Kleinen Fenster, aus dem ich schon so viele Jahre geschaut hatte, während ich an meinen Romanen gearbeitet hatte und sehe, welch Wunder, das zweijährige Kind auf dem aufplatzenden Asphalt sitzen. Mit einem kurzen Lächeln wende ich mich ab und schaue ein letztes Mal in mein Arbeitszimmer. Neben mir auf dem Schreibtisch liegt mein neues Manuskript. Wenn ich bedenke, wie viel es mir gestern noch wert gewesen war, wage ich es kurz vorm Tode an den Idealen der Menschen zu zweifeln.
Der Rauch lähmt nun mein Denken. Mit zitternder Hand schreibe ich nun meine letzten Worte und hoffe, dass sie eine neue Generation von Menschen lesen kann und ich wünsche mir von Herzen, dass man unsere Fehler in der Zukunft nicht wiederholt.
Wir hätten die Welt haben können, doch wir haben sie zerstört. Dies soll allen eine Lehre sein, die die Möglichkeit haben, dies zu lesen. Meine Hoffnungen gehen mit den Kindern, dem Ausdruck der Unschuld,
in Ewigkeit.

Hallo erstmal...

In diesem Blog möchte ich meine Geschichten in Fortsetzungen posten. Ich bitte um faire Kritik und will (natürlich) kein Spam oder sonstiges hier haben. Sonst noch viel Spaß, hoff´es gefällt ^^